Diese „Digitale Festschrift“ gibt verschiedene Einblicke in 70 Jahre Ratsgymnasium in allen Facetten. Sie ist ein „work in progress“ und wird in den kommenden Jahren weiter gepflegt und ergänzt.
Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung nach dem Krieg wird durch einen Beschluss des Rates der Stadt Rotenburg die "Ratsschule Vereinigte Städtische Mittel- und Oberschule i.E." als Vorläufer des heutigen Ratsgymnasiums gegründet. Erster Schulleiter wird T. Lindemann. Die bereits vorher vorhandene Mittelschule wird bei dieser Gründung um eine Oberschule erweitert, so dass erstmalig gymnasiale Bildung im Landkreis Rotenburg verfügbar wird. Die Eichenschule in Scheeßel als Privatschule wurde bereits kurz vorher gegründet.
Die Anfangszeit der Ratsschule ist geprägt vom Mangel. Das Hauptgebäude in der Schillerstraße sowie mehrere Nebengebäude in den umliegenden Straßen sind für die wachsende Schülerzahl zu eng, im Winter mangelt es an Heizmaterial und Lehrer finden auf dem überhitzten Wohnungsmarkt Rotenburgs keine Unterkunft, obwohl für sie Residenzpflicht in der Stadt besteht. Darüber hinaus ist die Versorgungssituation mit Lehrerstellen so prekär, dass 1950/51 im Oberschulzweig 116 Schüler in drei Klassen unterrichtet werden.
"Altschüler"Uwe Janßen in der Rückschau: „Wir Ehemaligen sind noch zu jung, um nicht Euch, unsere früheren Mitschüler, zu beneiden(...). Denken wir doch unwillkürlich an unsere noch gar nicht lang zurückliegende Schulzeit, die unter keinem glücklichen Stern stand. Angefangen bei den Schulstunden in der Kriegszeit, dem unsicheren Hin und Her gleich nach Kriegsschluß, den überfüllten Klassen bis zur Unterbringung unserer Schule in verschiedenen Gebäuden. Diese Teilung und das dauernde „Auf-Wanderschaft-Sein“, waren nicht sonderlich geeignet, das Bewußtsein aufkommen zu lassen, einer Schulgemeinschaft anzugehören.“
Gründungsdirektor Lindemann 1959 aus der Rückschau:
„Das Jahr 1948 brachte eine nicht abreißende Kette von Verhandlungen im Kultusministerium und anderen Dienststellen. Dann war es soweit. Ostern 1949 gab es die beiden ersten Oberschulklassen, und Ostern 1955 die ersten Abiturient(-innen) in Rotenburg an der „Vereinigten Mittel- und Oberschule“. In der Verbindung dieser beiden weiterführenden Schulen ist die Oberschule entstanden. Ueber Wert und Berechtigung dieser Verbindung heute zu diskutieren erübrigt sich, da die Entwicklung andere Wege gegangen ist. Rückschauend möchte ich aber feststellen, daß sich die beiden Zweige der „Ratsschule“ gegenseitig gefördert haben. Diesen Namen hatte nämlich der Rat der Stadt der Schule auf meinen Vorschlag gegeben. Riesengroß waren die Schwierigkeiten beim Aufbau. Es fehlte an Lehrkräften, Klassenräumen und Lehrmitteln aller Art. (...) Heute, wo die Anstalt doppelzügig ist, wird es immer schwerer sich zu erinnern, wie klein sie einmal angefangen hat.“
„Mehrfach geändert hat sich der Name der Schule. Zeugnisköpfe und Siegel zeigen nach der Trennung im Jahre 1955 die Inschrift: „Ratsschule Rotenburg-Oberschule“, „Ratsschule Rotenburg-Neusprachliches Gymnasium“ und nunmehr, vom Tage der Grundsteinlegung ab, „Ratsgymnasium Rotenburg- Neusprachliches Gymnasium“. Ob nach der Konsolidierung der ganzen Schule zu diesem Titel noch der Untertitel „mathematisch-naturwissenschaftliches Gymnasium“ treten wird, daß muß die Zukunft lehren.“
Mit dem Schuljahr 1952/53 kommt es zu Konflikten zwischen Mittelschule und Oberschule wegen der Zuweisung von Lehrerplanstellen. Die Chronik vermerkt für das Schuljahr 1953/54 einen schlechten „Gesundheitszustand der Lehrerschaft“, der sich im Ausfall von insgesamt 200 Unterrichtsstunden spiegelt. In dieser Krisensituation verlässt der Schulleiter T. Lindemann während des laufenden Schuljahres 1954/55 die Schule. Genaue Gründe hierfür sind der Chronik nicht entnehmbar.
Ab 1955 steigt die Klassenstärke der Ratsschule deutlich an, von 7 auf 16 Klassen bis 1958, und zwingt die Verantwortlichen zu immer neuen Improvisationen:„Oftmals schien es fast unmöglich, unter den gegebenen äußeren Verhältnissen die Unterrichtsziele zu erreichen. (...) Die Maßnahmen waren vielfältiger Art. Der Dachboden im Mittelschulgebäude wurde ausgebaut, Kellerräume in Benutzung genommen. In den Fluren mußten Verschläge für Sammlungen, Büchereien, ja selbst für das Lehrerzimmer genügen. Ähnlich ging man im Wallbergstraßengebäude vor. Schließlich wurde (...) ganz auf ein Lehrerzimmer verzichtet, und die Lehrer hielten sich in merkwürdigem Kontrast zu den sonstigen Erscheinungen des Wirtschaftswunders ohne Lehrerzimmer sommers wie winters in den zugigen Fluren auf. Vorübergehend diente sogar Schlafsaal und Baracke der Jugendherberge als zusätzliche Unterrichtsräume. Und dann die Entfernungen! Die vier Gebäude, in denen die Schüler des Ratsgymnasiums unterrichtet wurden lagen zum Teil 1,5 bis 2 km auseinander.“„Eine spürbare Entlastung trat erst ein, als die Schule im Herbst 1958 mit sieben Klassen und den Verwaltungsräumen in den ersten Trakt des Neubaus in der Gerberstraße umzog. (...) Infolge der großen Entfernung vom Neubau zu den beiden Gebäuden in der Stadtmitte brachte das Hin- und Herpendeln der Lehrkräfte eine Fülle von Unzulänglichkeiten im schulischen Alltagsbetrieb mit sich. Eine gewisse Erleichterung verschaffte die Hilfsbereitschaft der Stadtverwaltung, die einen Kraftwagen zur Verfügung stellte, um Lehrer in der großen Pause zu ihren Klassen an den verschiedenen Unterrichtsstätten zu fahren.“
Am 17. November 1955 werden die Oberschule und die Mittelschule formal voneinander getrennt. Die Oberschule trägt nun den Namen „Ratsschule Rotenburg (Hann.). Oberschule". Neuer Schulleiter ist seit dem ersten Mai OstD Dr. E. Krause aus Wolfsburg. Die Schule umfasst nun insgesamt acht Klassenverbände vom 7. bis 13. Jahrgang. Dem Lehrermangel wird mit der Weiterbeschäftigung von Pensionären und dem eigenverantwortlichen Unterricht von Referendaren begegnet.
Dipl. Arch. Heinz Gericke, Walsrode
„Ich entschied mich für die aufgelockerte Bauweise, die eine Verbindung von eingeschossigen Flachdachbauten und zweigeschossigen Stockwerkbau darstellt. Die Schule, die ich bauen wollte, sollte weder eine massige Mammutschule noch eine bedrückende Schulkaserne sein. (...)
Durch mangelhaft ausgestattete und unzulänglich eingerichtete Schulbauten nehmen Mensch und Gesellschaft Schaden. Dieser Erkenntnis verschließt sich heute, wir mir scheint, niemand mehr. (...) Schüler, Lehrerschaft und Eltern können sich kein glücklicheres Jubiläumsgeschenk wünschen, als es ihnen die Stadt mit der neuen Schule gemacht hat. Die Stadt Rotenburg hat damit gleichzeitig ihrer Schulfreudigkeit ein Denkmal gesetzt. Es gibt kein besseres.“
Mit dem Schuljahr 1963/64 wird die „Lehrverfassung“ der Schule um einen mathematisch orientierten Zweig erweitert.
Der bis dahin vorgeschriebene Probeunterricht wird per Erlass des Kultusministeriums ab 1965 abgeschafft, fast alle angemeldeten Schüler waren ohne eigentliche Überprüfung ihrer Leistungsfähigkeit aufzunehmen. Die Zahl der Anmeldungen nahm um 72% zu. Die Folge: alt bekannte Raumnöte und Lehrermangel am Ratsgymnasium. Pensionäre wurden weiterbeschäftigt, Unterrichtsausfall in der Größenordnung von 20% war regelhaft. Schulleiter Dr. Krause schlägt daher ein zweites Gymnasium für Rotenburg vor. Aufgrund der Millioneninvestitionen sieht sich der Landkreis jedoch nicht in der Lage der Forderung nachzukommen.
„Unbefangenheit und Quecksilbrigkeit, verbissener Siegeswillen, redliches Bemühen der Durchschnittlichen…..beschämte und unfreiwillige Demonstrationen schwacher Leistungen, in denen sich jahreslanges Drücken und mangelnder Wille zur Leibesertüchtigung spiegelten“ als Merkmale und Erscheinungen des Sports, so beschrieb es die Rotenburger Presse der Sechzigerjahre. Vom „Durchstehen“ bis zum Recht „auf Verweigerung repressiver Sportausübung“ bei den Bundesjugendspielen 1969 ist alles dabei. Das Ratsgymnasium sucht sich seinen eigenen Weg, bricht mit dem traditionellen Bild der Leibesertüchtigung aus den Fünfzigerjahren und versucht nicht, sportliche Erfolge um jeden Preis zu erzielen. Trotzdem zeugen etliche Teilnahmen an sportlichen Wettbewerben auf Kreis-, Bezirks-, Landes- und Bundesebene (Jugend trainiert für Olympia) von sportlichen Erfolgen des Ratsgymnasiums in den Sechzigern und den folgenden Jahrzehnten. Sogar eine Kanusportgruppe wird 1967 gegründet.
Im Schuljahr 1964/65 wird auf die Raumknappheit mit der Errichtung eines neuen Klassenraumtraktes reagiert. Auch die Aula wird in diesen Jahren gebaut. Zeitgleich wird die Turn- und Gymnastikhalle fertiggestellt. Im Schuljahr 1966/67 werden Teile des Dachgeschosses im Hauptgebäude an der Gerberstraße zu Kunsträumen umgebaut.
Seit dem Schuljahr 1966/67 ist die Schule durchgängig dreizügig, in den 5. Klassen bereits 4-zügig. Es gibt nun 861 Schüler in 32 Klassen. Lehrermangel und Schulausfall sind angesichts dieser Expansion noch immer ein zentrales Problem. Im selben Schuljahr beginnt der Schüleraustausch mit Sainte-Foy-la-Grande.
Seit 1968 gibt es einen regelmäßigen Frankreichaustausch, der unsere Schülerinnen und Schüler (die zunächst nach sportlichen Gesichtspunkten ausgewählt werden) nach Sainte-Foy-la-Grande führt. Eine erste Fahrt nach Ste-Foy einer Rotenburger Leichtathletikgruppe fand bereits 1966 statt und wurde im Folgejahr von einer französischen Sportlergruppe erwidert. 1968 noch „eine Fahrt ins Ungewisse“, die mithilfe „französischer Improvisierkunst und deutscher Organisier- und Kochkommandos“ bewältigt wird.
In den Siebzigern gelten Sprachlabore als „modernste Unterrichtshilfen“ zur Erlernung neuer Sprachen. Mithilfe des Freundeskreises wird ein „HSA-Labor“ (Hör-Sprech-Aufnahme-Labor) mit 40 Schülerplätzen eingerichtet, die vom Lehrerpult aus mithilfe von Mikrofon und Kopfhörern gleichzeitig erreicht oder auch einzeln „überwacht“ werden können. Zum Kern dieser Anlage gehören eine Stereoanlage, ein Diaprojektor und ein Overheadprojektor.
Die Befürchtung, dass „das Sprachlabor als rein technisches Instrument den Lehrer verdränge und einen seelenlosen, technisierten Unterricht zur Folge habe“, bestätigt sich nicht. Mit dem Umbau des 400er-Trakts in den 2000ern verschwinden schließlich auch seine baulichen Reste.
Im Schuljahr 1973/74 ist der Raummangel bereits wieder so groß, dass vorübergehend eine Zweigstelle in der Freudenthalstraße eröffnet wird.
Am Ende des Schuljahres 1973/74 wird der Schulleiter OStD Krause nach den Feierlichkeiten zum 25jährigen Bestehen der Schule pensioniert. Neuer Schulleiter wird im Frühjahr 1975 sein Stellvertreter Herr OStD Dr. E. Nikolei. Neuer Stellvertreter wird Dr. Hoffmeister.
Im Schuljahr 1976/77 beginnt die reformierte Oberstufe für den Jahrgang 11. Seither führt eine Kursstufe zum Abitur. Die zuvor im Landkreis diskutierte Frage, ob es an der Verdener Straße ein reines Oberstufenzentrum geben soll und das Ratsgymnasium dadurch ein reines Mittelstufengymnasium im Verbund mit der Realschule werden soll, wird durch den Kreistag verneint.
Im Jahr 1979 erreicht das Ratsgymnasium seine bis dahin höchste Schülerzahl von insgesamt 1213 Schülerinnen und Schülern in 45 Klassen. In den Folgejahren sinkt die Schülerzahl wieder aufgrund der Einrichtung der Orientierungsstufe 1980/81. Dies führt auch zu einer vorübergehenden Linderung der Raumnot.
Im Jahr 1981 beginnt die Planung für den Umbau der Schule und die Errichtung des neuen „Mittelbaus“ des Ratsgymnasiums. Pausengang, Musikraum und Lehrerzimmer werden im Sommer 1981 für einen Erweiterungsbau abgerissen. Dieser wird 1983 fertiggestellt und verbessert die räumliche Situation vor allem der Naturwissenschaften. Auch die Schulhöfe werden umgestaltet und die Freisportanlage fertiggestellt. Im Mai 1984 wird der Abschluss des Um- und Erweiterungsbaus in der Aula gefeiert.
Im Jubiläumsheft zum 40. Geburtstag der Schule freut sich Herr Kortüm: „Die modernen Fachräume, unsere zu Spiel, Erholung und Kommunikation einladenden Höfe, die Schulstraße mit ihren zahlreichen Bänken und Mäuerchen, die geradezu einladen zum Gespräch und zum Verweilen (…): wie wohltuend hebt sich das alles ab von der Enge und der Gestaltung der alten Schulgebäude.“
1984 entscheidet sich die Schülerschaft des Ratsgymnasiums Entwicklungsländern zu helfen. Niger soll über den Deutschen Entwicklungsdienst unterstützt werden. Konkret soll Geld für einen Schulneubau gesammelt werden. Dafür wird unter Leitung Herrn Lemmes im Mai 1985 eine Langspielplatte mit dem Titel „Musik für Niger“ unter Mitwirkung des Mittel- und Oberstufenchores, des Schulorchesters, zweier Schülerbands und der Lehrerband organisiert. Es kommen 8000 DM zusammen.
Das Fach Werte und Normen wird unter der Leitung von Herrn Vögler eingeführt.
Hausmeisterehepaar Jaenisch geht 1984 „nach jahrzehntelangem bescheidenen und stillen Dienst“ in den Ruhestand - „ein Einschnitt in die Schulgeschichte“.
1985 treten Hausmeister Ryß und seine Frau die Nachfolge an.
Im Jahr 1994 geht der langjährige Schulleiter OStD Dr. E. Nikolei in Pension. Sein Nachfolger wird am 10. September 1994 OStD Dr. W. Jarecki. In seine Amtszeit werden zahlreiche Um- und Erweiterungsbauten fallen.
Die räumliche Erweiterung der Schule setzt sich fort. 1994 wird das Dachgeschoss des Gebäudes an der Gerberstraße ausgebaut. Es entstehen fünf Klassenräume und zwei Fachräume.
Im Jahr 2008 wird schließlich an den Gang zwischen Verwaltung und Aula eine Flucht von 5 Klassenräumen angebaut. Der 500er Trakt entsteht.
Zum Schulhalbjahr 2013/14 wird der Schulleiter OStD Dr. W. Jarecki pensioniert. Seine Nachfolgerin ist seit 2014 OStD’ Iris Rehder.
So weit sich lebende Zeitzeugen zurückerinnern können, hatte das Ratsgymnasium immer ein reiches Schulleben mit zahlreichen Ganztagsangeboten. Seit 2018 ist das Ratsgymnasium auch offiziell eine "Offene Ganztagsschule".
In Zeiten der Europaskepsis bekennt sich das Ratsgymnasium zum europäischen Projekt und wird Europaschule.
Mit Herrn Horn geht auch seine berüchtigte Infowand - inhaltlicher Schwerpunkt: (Fortuna) Düsseldorf - in den Ruhestand!
Ein Jahr später ist es dann auch nach außen hin sichtbar: bei zunächst strömendem Regen montiert ein Bremer Fachbetrieb das neue Logo in gebürstetem Edelstahl an die Fassade des Hauptgebäudes an der Gerberstraße. Die Schülerinnen und Schüler erblicken den Schriftzug das erste Mal am nächsten Morgen - bei strahlendem Sonnenschein.
Und selbstverständlich ist dies nicht das Ende...!